Rollenverwirrung im Familienunternehmen: Von der Familienbande zur Führungskrise

Unklare Rollen zwischen Familie und Unternehmen führen zu Lähmung und Misstrauen. So schaffen Sie Rollenklarheit und vermeiden die typischen Fallen bei der Nachfolge in Ihrem Familienunternehmen.

Dr. Markus Dirr

3 min lesen

In Familienunternehmen verschwimmen die Grenzen zwischen Person und Position, zwischen Herkunft und Aufgabe, zwischen Liebe und Leistung. Wer bin ich hier eigentlich – Tochter, Geschäftsführerin oder Erbin? Oder alles gleichzeitig? Diese unklaren Rollenzuschreibungen gehören zu den häufigsten Gründen, warum Nachfolgeprozesse ins Stocken geraten oder sogar scheitern.

Dieser Beitrag basiert auf dem Kapitel "Die Gleichheits-Falle: Warum faire Anteile oft zu unfairen Konflikten führen" von Dr. Lara Aumann aus dem Buch "Lebenswerk mit Zukunft". Dr. Aumann begleitet als promovierte Psychologin Familienunternehmen durch komplexe Übergangsprozesse und kennt die typischen Rollenkonflikte, die im Verborgenen wirken.

Dabei geht es nicht nur um fehlende Organigramme oder unklare Verträge, sondern um emotionale Loyalitäten, gewachsene Muster und implizite Erwartungen. Wer Rollen nicht bewusst gestaltet, produziert Unsicherheit – und Unsicherheit ist das Gegenteil von Führung.

Die drei Ebenen der Rollenverwirrung

Rollenverwirrung entsteht nicht aus böser Absicht, sondern durch fehlende Klärung. In Familienunternehmen wirken oft mehrere Ebenen gleichzeitig:

  • Familiäre Rolle (z.B. Tochter, Schwester, Vater)

  • Funktionale Rolle (z.B. Geschäftsführerin, Gesellschafter, Beirat)

  • Emotionale Rolle (z.B. Lieblingskind, Loyalitätsträger, Sündenbock)

Wenn diese Ebenen nicht getrennt und bewusst gestaltet werden, entstehen Rollenkonflikte, die alle Beteiligten überfordern. Die Forschung spricht hier von Rollenkumulierung – also der Überlagerung widersprüchlicher Erwartungen.

Typische Symptome sind:

  • Entscheidungsvermeidung aus Angst vor familiären Konflikten

  • Verdeckte Machtspiele ("Papa entscheidet doch noch alles")

  • Delegation ohne Autorität – Verantwortung ohne echte Befugnisse

  • Stille Rollenkämpfe unter Geschwistern

  • Unsicherheit im Führungsteam ("Wer ist hier zuständig?")

Wenn Kinder zu früh Verantwortung übernehmen müssen

Besonders heikel wird es, wenn Kinder in elterliche Rollen gedrängt werden, ohne bereit zu sein. In der Psychologie spricht man von Parentifizierung – dem unbewussten Übernehmen von Verantwortung für die Familie. Typische Aussagen sind: "Ich wollte nie Chefin sein – aber es wurde erwartet" oder "Ich darf nichts entscheiden, was meinem Vater missfallen könnte – er hat ja alles aufgebaut."

Hier wirken Loyalitätskonflikte zwischen Familie und Unternehmen mit gravierenden Folgen für Führungsfähigkeit und persönliche Entwicklung. Die Nachfolgegeneration gerät unter doppelten Druck: führen, aber bitte nicht zu radikal. Ohne klare Rollenzuweisung bleiben sie Getriebene zwischen widersprüchlichen Erwartungen.

Die Unsichtbaren im System – ausgeschlossene Rollen

Nicht nur operativ Tätige leiden unter Rollenkonflikten. Auch passive Gesellschafter oder Nicht-Erbende haben oft keine klare Rolle und füllen diese informell aus: durch Einmischung, Rückzug oder stille Kritik. Auch Schwiegerkinder beeinflussen Entscheidungen informell, ohne formale Einbindung.

Klassisch ist auch die Situation des Altinhabers, der formal losgelassen hat, aber emotional präsent bleibt – nicht aus Kontrollsucht, sondern aus Identitätsunsicherheit. Ohne bewussten Rollenwechsel bleibt das Loslassen eine Zumutung. Ein erfahrener M&A-Berater bringt es auf den Punkt: "Das größte Hindernis in vielen Übergaben ist nicht der fehlende Nachfolger, sondern der nicht abgetretene Vorgänger."

Konkrete Schritte zur Rollenklärung: 5-Punkte-Plan

1. Rollen-Inventur durchführen: Welche Rollen habe ich aktuell? Welche soll ich haben? Wo gibt es Überschneidungen oder Widersprüche?

2. Erwartungen klären im moderierten Gespräch: Was erwarten andere von mir in dieser Rolle? Was erwarte ich von mir selbst? Was ist realistisch umsetzbar?

3. Rollenbeschreibungen verbindlich formulieren und schriftlich festhalten: Nicht nur für formale Positionen, sondern auch für informelle Rollen wie "Mentor" oder "strategischer Berater".

4. Grenzen kommunizieren zwischen Familie und Unternehmen: Klare Trennung schaffen zwischen familiären Gesprächen und geschäftlichen Entscheidungen.

5. Rollen regelmäßig reflektieren mit externer Begleitung: Entwickeln sich die gelebten Rollen wie gewünscht? Wo gibt es Abweichungen? Was muss angepasst werden?

Empfehlungen für erfolgreiche Rollentrennung

Eine faire Verteilung von Macht, Verantwortung und Anteilen entsteht nicht durch Einzellösungen, sondern durch ein offenes, moderiertes Aushandeln der Rollen und Strukturen. Erfolgreiche Prozesse enthalten meist folgende Elemente:

  • Transparenz über Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnisse – klar dokumentiert und für alle zugänglich

  • Moderierte Familiengespräche zur Erwartungsklärung mit professioneller Begleitung

  • Verbindliche Rollenbeschreibungen für operative und strategische Aufgaben

  • Koppelung von Einfluss und Verantwortung – nicht nur von Anteil und Zugehörigkeit

  • Externe Begleitung, um emotionale Dynamiken zu reflektieren und blinde Flecken sichtbar zu machen

Familien, die diese Klärungsprozesse frühzeitig, strukturiert und mit professioneller Unterstützung angehen, berichten von höherer Zufriedenheit und Erfolg – sowohl in der Familie als auch im Unternehmen. Die Investition in Rollenklarheit zahlt sich mehrfach aus: durch bessere Entscheidungen, weniger Konflikte und eine gestärkte Führung.

Der Schlüssel: Verantwortung braucht klare Sprache

Verantwortung braucht nicht nur formale Struktur, sondern klare Sprache. Es reicht nicht, eine Position zu vergeben – die damit verbundenen Erwartungen, Befugnisse und Grenzen müssen ausgesprochen und von allen Beteiligten verstanden werden. Nur so kann aus einer formalen Rolle eine gelebte Führungsposition werden.

Die zentrale Frage lautet: Wer ist sichtbar verantwortlich – und wer ist es im Schatten? Wenn diese Frage nicht beantwortet wird, bleibt die Rollenverwirrung bestehen und blockiert den Erfolg der Nachfolge.

Den vollständigen Originalbeitrag von Dr. Lara Aumann findest du im Buch "Lebenswerk mit Zukunft" und einen kostenlosen Auszug findest du unter www.Lebenswerk-mit-Zukunft.de

Warum dieses Buch unverzichtbar ist: "Lebenswerk mit Zukunft" vereint die Expertise von 14 externen Begleitern von Familienunternehmen, die zusammen über 300 Jahre Erfahrung mitbringen. Statt akademischer Theorie erhältst du praxiserprobte Lösungen aus hunderten realen Nachfolgeprozessen – mit konkreten Handlungsempfehlungen für sofortige Umsetzung.

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