Konflikte als Motor der Nachfolge: Warum Reibung den Prozess voranbringt

Konflikte sind kein Scheitern – sie sind notwendig für erfolgreiche Nachfolge. Wie Sie Reibung konstruktiv nutzen und vom Gewinner-Verlierer-Denken wegkommen.

Dr. Markus Dirr

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Ein Holpern und Stolpern in der Übergangsphase kann und darf sein. Und wahrscheinlich muss es sogar so sein, denn ein sang- und klangloses "Weiter-so" spricht nicht für einen innovativen Neuanfang. Für Unternehmen, die bestens aufgestellt sind, mag dies passen. Bei den anderen darf für Mitarbeitende und Stakeholder der frische Wind erkennbar werden.

Dieser Beitrag basiert auf dem Kapitel "Nachfolge gelingt, wenn auch das Unsichtbare sichtbar wird: Bindungen, Spannungen, Rollen. Klarheit stärkt die Familie und sichert unternehmerisches Handeln" von Christa G. Kober aus dem Buch "Lebenswerk mit Zukunft". Als erfahrene Wirtschaftsmediatorin weiß Christa G. Kober: Nicht die Konflikte sind das Problem, sondern der Umgang damit entscheidet, ob sie zerstörerisch wirken oder voranbringen.

Das negative Image von Konflikten – und warum es falsch ist

Grundsätzlich ist zu Konflikten anzumerken, dass diese in keiner Art und Weise verteufelt werden sollten. Ihr negatives Image hat viel damit zu tun, dass es an eigenen Kompetenzen zur Konfliktklärung mangelt – "ich kann es nicht händeln, also ist es schlecht". Verständlich, denn in der Regel wird in den Familien und Bildungseinrichtungen viel zu wenig ein lösungskonstruktiver Umgang damit gelehrt und gelebt.

Die Austragung von Konflikten folgt zumeist einem klaren Gewinner-Verlierer-Schema. So gibt es am Ende einen klaren Sieger und einen klaren Verlierer, der eigene Erfolg hängt somit vom Misserfolg der anderen Partei ab. Dies entspricht einem Denken und Handeln in einem polaren Schwarz-Weiß-Schema – den Lebensrealitäten wird dies nur in wenigen Fällen gerecht.

Warum Konflikte für Innovation notwendig sind

Für Unternehmen, die vor Veränderungen stehen – und das sind die meisten in der Nachfolge – sind Konflikte nicht nur unvermeidlich, sondern notwendig. Denn ein sang- und klangloses Weiter-so ohne Reibung deutet oft darauf hin, dass sich nichts wirklich verändert. Die Protagonisten Übergeber beziehungsweise Übernehmer sollten hier wiederum klar ihre Rollen differenzieren.

Mental hilft hier die Vorstellung "welchen Hut habe ich gerade auf". Die Übergebergeneration, Eltern und Familie dürfen ihre Erwartungshaltung an Loyalität hier nicht auf die Übernehmerseite, den Neugeschäftsführer und das Unternehmen projizieren. Diese Trennung ist entscheidend, um Konflikte konstruktiv zu nutzen.

Vom Gewinner-Verlierer-Denken zur Win-Win-Lösung

Das traditionelle Konfliktverständnis basiert auf der Annahme, dass es in jedem Konflikt einen Gewinner und einen Verlierer geben muss. Dieses Nullsummenspiel führt jedoch zu destruktiven Dynamiken: verhärtete Fronten, Eskalation und langfristige Schäden in der Beziehung.

Ein konstruktiver Umgang mit Konflikten erfordert ein anderes Verständnis: Konflikte sind Ausdruck unterschiedlicher Bedürfnisse, Perspektiven und Interessen – und gerade diese Vielfalt kann zu besseren Lösungen führen, wenn man sie richtig nutzt. In der Mediation spricht man von Win-Win-Lösungen, bei denen beide Seiten ihre wichtigsten Interessen gewahrt sehen.

Konflikte als Sichtbarmacher unbewusster Dynamiken

Ein wesentlicher Punkt ist das Verständnis für die Funktionsweisen der drei Systeme Familie, Unternehmen und Eigentum. Wer weiß, dass hier ureigene Dynamiken am Wirken sind, läuft weniger Gefahr, hier ein individuelles Versagen anzunehmen. Das entlastet alle Beteiligten.

Ziel ist der souveräne Umgang mit den systemimmanenten Paradoxien. Dies verdeutlicht die starke Fokussierung auf die Beziehungsebene. Eine Außerachtlassung psychodynamischer Aspekte steht der notwendigen Klarheit im Weg. Der reflektierte Umgang auf der Beziehungsebene schafft die beste Ausgangsbasis, um im Zuge der Nachfolgeregelungen sachgerecht mit den Themen Vergabe von Positionen, Finanzierung, Eigentümerverhältnisse und vertragliche Gestaltungen umzugehen.

Praxisbeispiel: Wenn verdeckte Konflikte eskalieren

Ein Fallbeispiel aus Christa G. Kobers Beratungspraxis zeigt die Dynamik: Ein Familienmitglied hatte über Jahrzehnte hinweg die Rolle des "Retters des Familienunternehmens" inne. Diese Person forderte von Mutter und Geschwistern beständig Dankbarkeit und Akzeptanz für die führende Rolle in der Geschäftsführung. Auf der Eigentümerebene war diese Person den Geschwistern aber gleichgestellt.

Diese Konstellation führte zu stetigen Reibereien sowohl im betrieblichen als auch im familiären Kontext. Vollkommen eskaliert ist die Situation, als eine Nachfolgeregelung anstand – es wurde ein "natürlicher Nachfolgeanspruch" für den eigenen Sohn reklamiert, weil man sich gefühlt für den Fortbestand des Unternehmens "geopfert hat".

Hier bestanden über Jahrzehnte hinweg ungelöste Konflikte. Aus Sorge darüber, dass ein offener Streit ausbricht und dadurch auch die Firma beschädigt wird, haben alle Familienmitglieder "lautgeschwiegen". Steckt man viel Energie in die Verdrängung, kann dies tatsächlich lange funktionieren – bis dann der berühmte Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt.

Mediation als Weg zur Konfliktklärung

Im geschilderten Fall kam es zum heftigen Ausbruch der verdrängten Konflikte – und damit endlich zum Weg für eine Klärung. Nach Anlaufschwierigkeiten, bis alle Beteiligten einem Mediationsverfahren zustimmten, war eine erfolgreiche Klärung möglich.

Im Klärungsprozess ergänzen sich unterschiedliche Formate, welche auf die individuellen Dynamiken Rücksicht nehmen:

  • Gemeinsame Arbeit mit allen Beteiligten

  • Transparente Einzelgespräche zur Vorbereitung

  • Shuttle-Mediation, wenn starke Emotionen wie Wut oder Verletzung ein persönliches Aufeinandertreffen zunächst unmöglich machen

  • Schrittweise Annäherung, bis die Klärung gemeinsam weitergeführt werden kann

Alle Teilnehmenden müssen darauf vertrauen können, dass Mediation einen geschützten Raum bietet, in dem sie vor Verletzungen, Übergriffen und Kontrollverlusten sicher sind.

Dass Zündstoff birgt: Finanzierung und Eigentümerverhältnisse

Dass Themen wie Finanzierung, Eigentümerverhältnisse und vertragliche Gestaltungen Zündstoff bergen, steht außer Frage. Oftmals bleibt die Übergeberseite beispielsweise zunächst noch in einer starken Eigentümerposition – bei Abgabe der Geschäftsführung entgleitet allerdings die Kontrolle über das operative Geschäft.

Da kommt dann die Frage auf, ob das eigene Geld gut angelegt ist. Die Nachfolgegeneration sollte diese Sorge durchaus ernst nehmen – gemeinsam können Lösungen gefunden werden. Die Etablierung eines Beirates wäre eine Möglichkeit, um das Erfahrungswissen im Unternehmen zu halten und Transparenz zu sichern.

Professionalisierung der Konfliktlösung als Zukunftstrend

Mediation, Coaching und andere Formen der professionellen Konfliktlösung werden zunehmend selbstverständlich in Familienunternehmen eingesetzt. Früher wurden Konflikte oft unter den Teppich gekehrt oder durch Machtwort entschieden. Heute sehen wir eine wachsende Offenheit für professionelle Unterstützung bei der konstruktiven Bearbeitung von Divergenzen.

Diese Entwicklung ist positiv und notwendig, denn: Nicht die Konflikte sind das Problem, sondern der Umgang damit entscheidet, ob sie zerstörerisch wirken oder voranbringen. Reibung kann der Motor für notwendige Veränderungen sein – wenn sie konstruktiv genutzt wird.

Kompetenzen zur Konfliktklärung entwickeln

Die gute Nachricht: Konstruktiver Umgang mit Konflikten ist erlernbar. Folgende Kompetenzen sind dabei zentral:

  • Die Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und zu verstehen

  • Emotionale Intelligenz im Umgang mit eigenen und fremden Gefühlen

  • Kommunikationsfähigkeiten jenseits des Schwarz-Weiß-Denkens

  • Die Bereitschaft, externe Unterstützung in Anspruch zu nehmen

  • Mut zur Auseinandersetzung statt Verdrängung

Familienunternehmen, die diese Kompetenzen entwickeln oder sich professionelle Unterstützung holen, haben eine deutlich höhere Erfolgsquote bei Nachfolgeprozessen.

Den vollständigen Originalbeitrag von Christa G. Kober findest du im Buch "Lebenswerk mit Zukunft" und einen kostenlosen Auszug findest du unter www.Lebenswerk-mit-Zukunft.de

Warum dieses Buch unverzichtbar ist: "Lebenswerk mit Zukunft" zeigt, dass erfolgreiche Nachfolge mehr ist als rechtliche und steuerliche Planung. Christa G. Kober macht die emotionalen und systemischen Dynamiken sichtbar, die oft übersehen werden – aber über Erfolg oder Scheitern entscheiden.

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