Die 60-30-10-Regel für Family Offices: Innovation ohne Vermögensgefährdung

Mit gestaffelter Investmentstrategie Innovation ermöglichen: Wie Family Offices Kernvermögen sichern und gleichzeitig von Zukunftstechnologien profitieren können. Praxisleitfaden.

Dr. Markus Dirr

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Wie lässt sich das scheinbar Unmögliche erreichen: Innovation fördern und gleichzeitig das Vermögen schützen? Diese Frage beschäftigt Family Offices weltweit. Die Antwort liegt in einer durchdachten, gestaffelten Investmentstrategie, die verschiedene Zeithorizonte und Risikoklassen intelligent kombiniert.

Dieser Beitrag basiert auf den praktischen Empfehlungen von Ralph Jacoby und Dr. Markus Dirr aus ihrem Kapitel "Unternehmerisch denken, ängstlich handeln? – Das Innovationsdilemma der Family Offices" im Buch "Lebenswerk mit Zukunft". Die beiden Experten zeigen konkrete Wege auf, wie Family Offices ihren strukturellen Vorteil nutzen können, ohne das Kernvermögen zu gefährden.

Der systematische Einstieg: Erst diagnostizieren, dann investieren

Um das Innovationsdilemma zu überwinden, ist zunächst eine ehrliche Bestandsaufnahme notwendig: Portfolioanalyse nach Innovationsgrad, Prozessanalyse abgelehnter Investments, Kompetenz- und Kulturanalyse sowie Thematisierung der Generationenperspektiven. Oft zeigt sich, dass trotz selbstwahrgenommener Innovationsbereitschaft kaum Innovation stattfindet.

Die 60-30-10-Regel: Portfolio-Struktur für Innovation

Basierend auf der Diagnose folgt eine gestaffelte Investmentstrategie, die das Vermögen in verschiedene Bereiche aufteilt. Diese bewährte Strukturierung ermöglicht Innovation ohne Gefährdung des Gesamtvermögens:

Kernportfolio (60-70%): Vermögenserhalt mit klassischen Anlagen

Dieser Bereich bildet das Fundament und dient der Sicherheit. Hier kommen bewährte, sichere Anlagen zum Einsatz: erstklassige Anleihen, Blue-Chip-Aktien, Immobilien in stabilen Lagen. Das Ziel ist nicht maximale Rendite, sondern Vermögenserhalt und planbare Erträge. Dieser Teil sollte konservativ verwaltet werden und die finanzielle Grundlage der Familie langfristig sichern.

Wachstumsportfolio (20-30%): Moderate Innovation

Hier werden etablierte Wachstumsklassen genutzt: breit diversifizierte Aktienfonds, Private Equity in reiferen Unternehmen, alternative Investments mit nachvollziehbarem Risikoprofil. Das Ziel ist ausgewogenes Wachstum mit moderatem Risiko. Dieser Bereich ermöglicht es, vom wirtschaftlichen Wachstum zu profitieren, ohne zu spekulativ zu werden.

Innovationsportfolio (5-10%): Disruptive Technologien und Geschäftsmodelle

Dieser kleinste, aber entscheidende Bereich ist für echte Innovation reserviert: Venture Capital in Start-ups, Direktinvestments in Zukunftstechnologien, thematische Investments in Bereichen wie KI, Biotechnologie oder nachhaltige Energie. Das Ziel ist langfristige Wertschöpfung und Partizipation an disruptiven Entwicklungen. Hier werden auch Totalverluste bewusst akzeptiert.

Die klare Trennung mit unterschiedlichen Zielsetzungen reduziert emotionale Konflikte und schafft einen geschützten Raum für Innovation. Im Innovationsportfolio sind Fehler erlaubt und eingeplant, im Kernportfolio gilt maximale Vorsicht.

Praxisbeispiel: In Generationen denken

Ein Family Office aus der Elektronikindustrie strukturierte die Bereiche zusätzlich nach Zeithorizonten: "Wir denken in Generationen, nicht Quartalen. Unser Innovationsportfolio ist für die übernächste Generation konzipiert – mit 25+ Jahren Anlagehorizont."

Diese Perspektive verändert die gesamte Diskussion: Wenn ein Investment für die Enkel gedacht ist, verlieren kurzfristige Schwankungen an Schrecken. Die Familie kann sich auf langfristige Trends konzentrieren, statt auf Quartalszahlen zu reagieren. Genau dies ist der strukturelle Vorteil von Family Offices gegenüber institutionellen Investoren.

Erfolgsgeschichte aus der Automobilzulieferung

Ein Family Office entwickelte nach dem Verkauf ein Corporate-Venture-Programm für nachhaltige Mobilität. "Anfangs war die Skepsis groß. Wir haben schrittweise ein paralleles Portfolio aufgebaut, das von der jüngeren Generation verantwortet wird. Nach dem Exit eines Batterie-Start-ups mit zehnfachem Return wuchs das Vertrauen. Heute investieren wir 15% in innovative Technologien."

Der strukturierte Dreijahresplan

Ein bewährter Ansatz: Jahr 1 für Bildung und Testinvestments, Jahr 2 für Co-Investments mit Partnern, Jahr 3 für eigenständige Direktinvestments. Dieser graduelle Aufbau verhindert Überforderung und gibt Zeit für organisationales Lernen.

Psychologische Barrieren überwinden

Die gestaffelte Strategie adressiert auch psychologische Aspekte. Die Angst vor Vermögensverlust ist tief verwurzelt. Diese Ängste anzuerkennen und aufzuzeigen, dass übermäßige Risikovermeidung selbst ein langfristiges Risiko darstellt, ist entscheidend für die Überwindung des Innovationsdilemmas.

Wirksam ist auch das narrative Umframing: Ein Family Office aus der Druckindustrie investierte gezielt in digitale Medientechnologien als "Neuinterpretation unserer Tradition als Informationsverbreiter" und konnte so auch konservative Familienmitglieder gewinnen. Innovation wird nicht als Bruch mit der Tradition präsentiert, sondern als deren zeitgemäße Fortführung.

Kooperationen als Alternative

Nicht jedes Family Office muss alles selbst können. Strategische Kooperationen bieten effektive Alternativen: Co-Investment-Netzwerke mit anderen Family Offices, strategische Partnerschaften mit Venture Capital Fonds, Kooperationen mit Universitäten oder Corporate Venturing. Ein Chemie-Family Office baute ein Netzwerk mit fünf anderen auf, um gemeinsam in innovative Technologien zu investieren – der Wissenstransfer ist dabei besonders wertvoll.

Warum "Lebenswerk mit Zukunft" unverzichtbar ist

Das Buch "Lebenswerk mit Zukunft" bietet mit den Beiträgen von 14 externen Experten einen einzigartigen Schatz an Praxiswissen. Ralph Jacoby und Dr. Markus Dirr haben als Beirat bzw. externer Geschäftsführer hunderte Family Offices und Familienunternehmen begleitet und kennen die Stolpersteine genau.

Was das Buch besonders macht: Es bietet keine theoretischen Modelle, sondern authentische Erfahrungen aus der Praxis. Die Autoren zeigen ehrlich auf, was funktioniert und was nicht – und warum. Diese Transparenz ist selten und wertvoll.

Den vollständigen Originalbeitrag findest du im Buch "Lebenswerk mit Zukunft" und einen kostenlosen Auszug findest du unter www.Lebenswerk-mit-Zukunft.de

Fazit: Innovation ist Pflicht, nicht Kür

Die gestaffelte Investmentstrategie ermöglicht es Family Offices, ihren größten strukturellen Vorteil – den langen Atem – tatsächlich zu nutzen. Durch die klare Trennung von Kernvermögen, Wachstumsportfolio und Innovationsbudget entsteht ein Rahmen für verantwortungsvolle Innovation.

In einer Welt des beschleunigten Wandels ist die Verweigerung von Innovation das größte Risiko. Family Offices, die dies verstehen und entsprechend handeln, sichern nicht nur ihr Vermögen, sondern bauen es für kommende Generationen systematisch aus.

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