Das Paradoxon des Vermögenserhalts: Warum Family Offices ihr größtes Kapital verschwenden

Vom Unternehmer zum Vermögensverwalter: Wie Family Offices durch Risikoaversion ihren strukturellen Vorteil verspielen und was dagegen hilft. Praxisnahe Einblicke aus "Lebenswerk mit Zukunft".

Dr. Markus Dirr

3 min lesen

"Wir möchten innovativ sein – aber bitte ohne Risiko." Was wie ein Widerspruch klingt, beschreibt die Realität vieler Family Offices präzise. Die gleichen Familien, die ihr Vermögen durch kalkulierte Risiken und unternehmerischen Mut aufgebaut haben, agieren plötzlich extrem risikoavers, sobald das operative Geschäft verkauft ist.

Dieser Beitrag basiert auf dem Kapitel "Unternehmerisch denken, ängstlich handeln? – Das Innovationsdilemma der Family Offices" von Ralph Jacoby und Dr. Markus Dirr aus dem Buch "Lebenswerk mit Zukunft". Die beiden Autoren beleuchten ein fundamentales Paradoxon und zeigen auf, warum die größte Stärke von Family Offices – ihr langer Atem – oft ungenutzt bleibt. Das Vermögen wurde durch unternehmerisches Handeln geschaffen, soll nun aber durch Risikovermeidung erhalten werden.

Der lange Schatten der Gründergeneration

Die Gründergeneration wird für ihren Mut gefeiert – gleichzeitig herrscht die Überzeugung, dass dieser Mut nun nicht mehr angebracht sei. Ein Beispiel aus der Praxis verdeutlicht dies: Nach dem Verkauf ihres Maschinenbauunternehmens etablierte eine mitteldeutsche Familie eine extrem defensive Anlagestrategie. Der Gründer, der einst mit einem kleinen Kredit startete und existenzielle Risiken einging, ließ nun nur noch Staatsanleihen und Blue-Chip-Aktien zu.

Es entsteht eine paradoxe Botschaft an die nachfolgende Generation: Sie sollen den unternehmerischen Geist fortführen, aber keine Risiken eingehen. Diese widersprüchliche Erwartungshaltung führt zu Identitätskonflikten und beeinträchtigt die Innovationskraft massiv. Die "Heiligsprechung" der Vergangenheit geht einher mit der Verleugnung der Erfolgsfaktoren, die das Lebenswerk überhaupt erst möglich machten.

Vom Macher zum Bewahrer: Die psychologische Transformation

Der Übergang vom Unternehmer zum Vermögensverwalter ist eine tiefgreifende psychologische Herausforderung. Das operative Geschäft bot klare Strukturen und direktes Feedback – die Vermögensverwaltung erscheint dagegen abstrakt und entkoppelt von der "realen Wirtschaft".

Unternehmer kennen ihr Geschäft in- und auswendig. Bei anderen Investments fühlen sie sich als Laie, was zu Unsicherheit und übertriebener Vorsicht führt. Dies resultiert in der Bevorzugung vermeintlich sicherer Anlagen, deren Performance oft kaum die Inflation übersteigt.

Die tiefere Dynamik besteht in einem fundamentalen Identitätswandel. Unternehmer definieren sich über ihre aktive, gestaltende Rolle. Der Verkauf des Unternehmens bedeutet einen existenziellen Wandel: Wer bin ich ohne das Unternehmen? Diese ungelöste Frage führt zu einem "Identitätsvakuum", das durch übertriebene Vorsicht und defensives Verhalten kompensiert wird.

Besonders problematisch ist die veränderte Zeitperspektive: Statt unmittelbarem Feedback aus dem operativen Geschäft erfordert Vermögensverwaltung generationenübergreifendes Denken und langfristiges, unternehmerisches Handeln – ausgerechnet das, was viele Family Offices vermeiden.

Die Ironie des langen Atems

Während Banken und Fonds im Quartalstakt nach schnellen Gewinnen jagen müssen, könnten Family Offices in Generationen denken und langfristige Investments eingehen. Doch was passiert in der Realität? Ausgerechnet jene, die über den längsten Atem verfügen, trauen sich oft am wenigsten zu atmen.

Die gleichen Familien, die vom Pioniergeist ihrer Vorfahren schwärmen, verwandeln sich in risikoaverse Vermögensverwalter und verschenken damit ihren größten strukturellen Vorteil. Während sie glauben, Vermögen zu schützen, verpassen sie die nächste Welle der Wertschöpfung.

Erste Schritte zur Überwindung

Die Überwindung dieses Paradoxons beginnt mit ehrlicher Selbstanalyse: Wie hat sich die Asset-Allokation entwickelt? Welcher Anteil ist in Zukunftstechnologien investiert? Wie viele Vorschläge werden als "zu innovativ" abgelehnt? Die meisten Family Offices stellen fest, dass trotz selbstwahrgenommener Innovationsbereitschaft kaum Innovation stattfindet.

Ein wirksamer Ansatz ist das narrative Umframing: Innovationsinvestments als Fortführung des unternehmerischen Erbes verstehen, nicht als Verrat daran. Ein Family Office investierte in digitale Medientechnologien als "Neuinterpretation unserer Tradition" und gewann so auch konservative Familienmitglieder.

Warum "Lebenswerk mit Zukunft" einzigartig ist

Das Buch "Lebenswerk mit Zukunft" bietet den wertvollen externen Blick, der Family Offices oft fehlt. Alle 14 Autoren sind externe Beobachter ohne Betriebsblindheit und bringen zusammen über 300 Jahre Praxiserfahrung mit. Sie zeigen authentisch auf, wo Familienunternehmen und Family Offices stolpern – und wie sie erfolgreich sein können.

Der Beitrag von Ralph Jacoby und Dr. Markus Dirr zum Innovationsdilemma der Family Offices verbindet psychologische Tiefe mit strategischer Klarheit. Jacoby bringt 20 Jahre Erfahrung als Beirat und Aufsichtsrat mit, Dirr ist selbst externer Geschäftsführer einer Management-Holding im Familienbesitz. Beide kennen die Herausforderungen aus erster Hand.

Den vollständigen Originalbeitrag findest du im Buch "Lebenswerk mit Zukunft" und einen kostenlosen Auszug findest du unter www.Lebenswerk-mit-Zukunft.de

Die erfolgreiche Transformation vom "vermögenserhaltenden" zum "vermögensgestaltenden" Family Office erfordert ein fundamentales Umdenken: Innovation muss von einer optionalen Zusatzaktivität zu einem integralen Bestandteil der Vermögensstrategie werden. Nur so können Family Offices ihren strukturellen Vorteil – den langen Atem – tatsächlich ausspielen und das Vermögen nicht nur erhalten, sondern für kommende Generationen mehren.

Familienunternehmen führen, entwickeln und erfolgreich übergeben

14 Experten teilen Erfahrungen für erfolgreiche Nachfolge, Führung und Unternehmensentwicklung

Familienunternehmen führen, entwickeln und erfolgreich übergeben